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„Lebenswege mit CI“ - CI-Symposium St. Wendel

Stephanie Kaut, 24.11.2017

„Lebenswege mit CI“ - CI-Symposium St. Wendel

Von den Anfängen der Ohrenoperationen bis hin zur aktuellen Diskussion über die Vor- und Nachteile einer ambulanten bzw. stationären Reha und auch Ausblicke in die Implantate der Zukunft, die mittels Laserlicht (optoakustisch) arbeiten könnten, waren die Themen des diesjährigen CI-Symposiums in St. Wendel sehr weit gefasst.

So begannen die Vorträge unterhaltsam mit einem Rückblick auf Ohrenoperationen durch die Jahrzehnte: Vom „Aufbohren der Ohren“ (bei Mittelohrentzündungen) vor 150 Jahren bis zur CI-Implantation heute war es ein weiter Weg. Doch klar wurde auch, dass wir mit den heutigen OP-Methoden noch lange nicht am Ende sind, hier ist immer noch Entwicklung möglich.

Das Restgehör erhalten

Was immer wieder zur Sprache kam, war die Notwendigkeit, Restgehör-erhaltend zu operieren. Dafür sind mehrere Faktoren wichtig: Die exakte Kenntnis über das zu operierenden Ohrs (jede Schnecke ist anders!), die Anwendung einer möglichst atraumatischen Operationstechnik, die Auswahl des geeigneten Implantat-Typs. Dennoch sollte der Patient wissen, dass selbst bei schonendster Restgehör-erhaltender Operation ein Hörverlust von 10-20 dB fast nicht zu vermeiden ist. Ebenfalls zu berücksichtigen ist die individuelle Hörgeschichte und natürlich die aktuelle Hörkurve des Patienten.

Neueste Entwicklung:
-        Bildgebende Verfahren während der OP. Dies ermöglicht, dass immer überprüft werden kann, ob man tatsächlich schonend operiert
-        Entwicklung von Elektroden, die sich selbst (und damit schonender) ihren Weg in die Cochlea suchen.

Die Vorteile der hörerhaltenden Operation sind nicht von der Hand zu weisen: Das Ohr kann dann mittels elektro-akustischer Stimulation versorgt werden, also mit einer Kombination aus CI und Hörgerät. Das CI überträgt hauptsächlich hochfrequente Informationen und macht so z.B. die Unterscheidung von Konsonanten möglich. Das Hörgerät ist mehr für die tieferen Frequenzbereiche zuständig, es ermöglicht die Erkennung des Sprechers sowie der Sprachmelodie (Prosodie), die auch die Erkennung von Emotionen möglich macht. Ebenso kann das Hörgerät die Erkennung der Tonqualität und das Hören von Musik verbessern. Das Ganze kann auch mit einem Bild verglichen werden. Während das CI für die Schärfe des Bildes/des Tons sorgt, kann das Hörgerät die Klang-/Farbtiefe sowie die Lautheit abbilden. Deshalb ist es wichtig, dass CI und Hörgerät individuell und für den Träger passend abgestimmt werden. Und dies geschieht am besten, wenn CI und Hörgerät an einem Ort, durch einen Fachmann, angepasst werden.

Prof. Dr. Harald Seidler moderiert das Symposium
Prof. Dr. Harald Seidler moderiert das Symposium

Gibt es eine Altersgrenze für CI?

Hörschädigung betrifft alle Altersklassen. Es ist keine Frage, dass kleine Kinder versorgt werden sollten, bevor sie in die Sprache kommen. Bei alten Menschen wurde festgestellt, dass Hörschädigung negative Auswirkungen haben kann, allem voran die soziale Isolation, der soziale Rückzug. Die Abhängigkeit von Familie und Pflegepersonen nimmt zu, ebenso das Risiko, depressiv zu werden oder an einer Demenz zu erkranken. Das Alter darf daher kein Hinderungsgrund sein, optimal mit einer Hörhilfe, sei es nun ein Hörgerät oder ein CI, versorgt zu werden. Die Lebensqualität steigt, und das Gehirn ist selbst im hohen Alter noch ähnlich plastisch wie bei jüngeren Menschen, d.h. es kann auch bei alten Menschen noch sehr lernfähig für das neue Hören sein. Auch 90-jährige wurden bereits erfolgreich implantiert! 

Rehabilitation und Nachsorge

Aller Anpassungsfähigkeit zum Trotz – mit einer Reha wird das Hören in der Regel trainiert und verbessert. Es können höhere Anforderungen gemeistert werden, wie Hören im Störlärm, bei schlechter Akustik, die Lokalisation des Schalls. Defizite im beruflichen und privaten Alltag werden aufgezeigt und Lösungen gesucht. Eine Reha muss nicht zwangsläufig dort stattfinden, wo auch die Operation war, auch wenn der Operateur optimalerweise auch über den Reha-Ablauf und Alternativen aufklären sollte. Und: die Qualität der Operation sagt nichts über die Qualität der Reha aus! Eine frühzeitige Reha ist anzustreben, damit die Menschen nach einer CI-Versorgung nicht über mehrere Monate im Beruf ausfallen. Das zentrale Thema der Rehabilitation sollte lauten: Schlechtes Hören wird in gutes Hören verwandelt. Ob die Reha stationär oder ambulant stattfinden soll, darüber scheiden sich die Geister. In der Reha begegnen sich Erfahrungswelten: Patienten, Therapeuten, Umwelt (Angehörige, Freunde, …) und Kostenträger. Die ambulante Reha findet im optimalen Fall wohnortnah statt, sie erfordert ein gutes familiäres Umfeld und in der Regel eine gute körperliche Kondition. Der große Vorteil der stationären Reha ist – neben der Konzentration auf die Reha – die Gruppendynamik. Man kann sich gegenseitig „erziehen“, das ist auch so gewollt.

Immer wieder wurde betont, wie wichtig neben der Reha auch die Nachsorge ist – und zwar lebenslang. Auch die moderne Technik sollte implementiert werden, so kann auch Telemedizin genutzt werden (also die Möglichkeit, dass der Patient für seine Einstellungen nicht mehr in die Klinik fahren muss, sondern der Einsteller über Internet mit dem lokalen Hörakustiker verbunden ist. Dies spart manchen weiten Weg).

Überhaupt sollte geklärt werden, was genau unter „Reha“ bzw. „Nachsorge“ verstanden wird. Ab wann ist die ambulante Reha teilstationär (ist das dann überhaupt eine Reha?), ab wann beginnt die stationäre Reha? Dies und einiges mehr sollte in der neuen Leitlinie, die zurzeit erarbeitet wird, definiert werden.

In jedem Falle gilt: Gute Teamarbeit und viel Herzblut sind ideale Voraussetzungen, um wieder gut ins Hören zu kommen.

Neben dem Symposium sind auch Gespräche wichtig
Neben dem Symposium sind auch Gespräche wichtig

Die Notwendigkeit beidseitiger Versorgung

Alles in der Natur ist sinnvoll, der Mensch hat nicht umsonst zwei Ohren. Mit zwei Ohren können akustische Quellen identifiziert werden, die Hörqualität steigt immens: Der Cocktailparty-Effekt, der das Verstehen m Störlärm so schwierig macht, das Sprachverstehen im Störlärm, wird möglich. Im Freiburger Einsilbertest schneiden Probanden mit beidseitiger CI-Versorgung um bis zu 20%, im Satztest im Rauschen sogar um bis zu 30% besser ab als Probanden mit nur einseitiger CI-Versorgung. Dies und einiges mehr weisen darauf hin, dass die beidseitige CI-Versorgung kein Luxus, sondern medizinisch sinnvoll ist!

Einseitige Ertaubung

Was vor 15 Jahren noch undenkbar war, ist heute fas Alltag: Die Versorgung einseitig Ertaubter durch ein CI. Der Erfolg dieser Maßnahme hängt dabei von mehreren Faktoren ab, u.a. davon, vom Zeitpunkt der Ertaubung des Ohres – vor oder nach dem Spracherwerb? Interessanterweise hat sich die eigentliche Dauer der Ertaubung, auch wenn sie schon viel Jahrzehnte zurücklag, als kein Problem erwiesen. 
Ein großer Aufwand ist jedoch die Reha, da, um ein möglichst gutes Sprachverständnis auf dem ertaubten Ohr zu erreichen, das gut hörende Ohr „stillgelegt“, also vertäubt werden muss. Dies ist im normalen Arbeitsalltag kaum möglich, so dass sich hier eine stationäre Reha über mehrere Wochen unbedingt anbietet.

Umdenken ist wichtig

Es muss ein Umdenken stattfinden: Nicht die Klinik mit den meisten Operationen zählt, sondern die Klinik mit dem besten Reha-Konzept. Wer bestimmt die Qualifikation der CI-Ingenieure? Wer ist für die Nachsorge zuständig? Es gibt mittlerweile so viele unterschiedliche Anbieter: die operierende Klinik, CI-Zentren, HNO-Ärzte, Hörakustiker (wohlgemerkt: nicht Hör-Geräte-Akustiker!), CI-Ingenieure. Wie soll ein Patient mit CI-Indikation wissen, was für ihn das Beste ist? Zumal noch nicht mal geklärt ist, wer für die Kosten aufkommt: die GKV oder die DRV?

Schwindel und CI

Manche Patienten klagen nach der CI-OP über Schwindel. Hierzu wurden an der Universität München Studien durchgeführt. Diese brachten folgende Fakten:

-        Bei genauer Voruntersuchung zeigte sich, dass 2/3 der Patienten bereits vor der OP Gleichgewichtsprobleme hatten.
-        Die subjektive Wahrnehmung des Schwindels nach der OP konnte nur in wenigen Fällen bei praktischen Übungen nachgewiesen werden.
Die Idee in München: Das Sturzrisiko durch Unsicherheit bei subjektivem Schwindel nach der OP durch Trainings in der Klinik und später zuhause zu vermindern.

Lebensweg einer CI-Trägerin

Das Thema „Lebenswege mit CI“ wäre natürlich unvollständig ohne einen Blick auf die CI-Träger selbst: Ursula Soffner erzählte die Geschichte des CIs anhand ihrer eigenen Biographie unter dem Motto „Vom Taschenhörgerät zum CI-Schmuck“. Hierbei wurde deutlich, dass sich nicht nur die Technik, sondern auch die persönliche Einstellung zum CI weiterentwickelt hat.

Neben der vielen Theorie kam aber auch der Genuss und das Miteinander nicht zu kurz. In den Kaffeepausen wurden alte Kontakte aufgefrischt und neue Bekanntschaften gemacht. Am ersten Abend spielten die Gambles auf und sorgten mit Rock ’n’ Roll für Stimmung bis spät in die Nacht. Egal ob Patienten, Ärzte oder Therapeuten – auf der Tanzfläche ging’s rund.

Rock'N'Roll bis spät in die Nacht
Rock'N'Roll bis spät in die Nacht

Am Samstag, dem 11.11. um 11:11 Uhr lockerte der Kurzauftritt einer Prinzengarde die graue Theorie auf. Und der Musiktherapeut Victor Giraldo rundete das Symposium mit einem eigens für das Symposium zusammengestellten Quartett aus Violine, Cello, Klarinette und Klavier ab. Hier zeigte er eine Möglichkeit der Musiktherapie, indem die einzelnen Instrumente erst vorgestellt werden und anschließend in Kombination mit den anderen herausgehört werden können.

Text: Stephanie Kaut, Ulrike Berger
Fotos: © CIV NRW e.V., Peter Hölterhoff

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